Representation matters – das gilt natürlich auch für Videospiele.
Dass Frauen und weiblich gelesene Menschen auch in diesem Bereich Benachteiligung erfahren, haben wir versucht, in unserer Podcast-Episode „Gender & Gaming“ aufzugreifen. In diesem Beitrag wollen wir anhand von Hedwigs liebstem Online-Kartenspiel „Hearthstone“ zeigen, welche Arten der Diskriminierung ihr begegnet sind.
Vorweg schicken möchte ich, dass ich nicht selbst Ziel von Benachteiligung aufgrund meines Geschlechts wurde, sondern dadurch, dass ich das Spiel viel und gerne gespielt habe, auf diverse Vorkommnisse und Missstände aufmerksam wurde.
Hearthstone ist ein Online-Sammelkarten-Spiel von Blizzard, das man gegen eine KI oder aber gegen andere Spielerinnen und Spieler spielen kann. Ich habe es eine zeitlang sehr viel gespielt, weil es unheimlich herausfordernd sein kann und meinen Ehrgeiz geweckt hat, mich auf immer höherem Niveau mit anderen Spielenden zu messen. Was ich auch schätze an diesem Spiel: Es gibt sechs Emoticons bzw. Sprechblasen („Hallo“, „Danke“, „gut gespielt“ usw.), über die mein Gegenüber mit mir kommunizieren kann (oder auch nicht, wenn ich die Person mute) – anchatten geht nicht, wenn ich nicht vorher eine Freundschaftsanfrage angenommen habe. So ist es recht einfach, sich die Trolle und Pöbler vom Hals zu halten.
Nun zu den Aufregern.
2014 ist zwar schon eine Weil her, aber ich muss es erwähnen, denn es war einfach eine unglaubliche Respektlosigkeit und zeigt wieder so schön, mit welcher Selbstverständlichkeit Frauen und Mädchen ausgeschlossen und klein gehalten werden. Ein Hearthstone-Qualifikations-Turnier in Finnland schloss explizit Frauen und Mädchen von der Teilnahme aus. Als Rechtfertigung hieß es, dass beim Schach Frauen und Männer ja auch getrennt spielten und der eSport bemühe sich, als „echter“ Sport anerkannt zu werden – das geht scheinbar nur, indem man nach Geschlechtern trennt. Zudem sei bei der Word-Championship einfach kein Frauenwettbewerb „Hearthstone“ vorgesehen, sondern nur einer für Männer. Nach einem Shitstorm sind die finnischen Veranstalter eingeknickt – wie es mit der World- Championship weiterging, weiß ich nicht.
"Spielerinnen berichteten, dass männliche Gegner einen Verbindungsabbruch vortäuschten, wenn das Blatt sich zu ihren Ungunsten wendete, um das Spiel wiederholen zu dürfen oder es aus der Wertung fallen zu lassen."
Nächstes Beispiel: Ich trug mich eine Weile mit dem Gedanken, zum Spaß an kleinen und größeren Turnieren in der Umgebung teilzunehmen, war jedoch dermaßen abgeschreckt von Geschichten, die ich dazu las, dass ich es doch seinließ. Viele Frauen berichteten, sie seien von männlichen Gegenspielern beleidigt oder bevormundet worden. Einige hätten sich sogar geweigert, gegen sie anzutreten, sei es, weil sie die Frauen nicht als ernstzunehmende Gegner einschätzten oder im Gegenteil Angst hatten, gegen „ein Mädchen“ zu verlieren. Spielerinnen berichteten, dass männliche Gegner einen Verbindungsabbruch vortäuschten, wenn das Blatt sich zu ihren Ungunsten wendete, um das Spiel wiederholen zu dürfen oder es aus der Wertung fallen zu lassen. Klingt nach echtem Sportsgeist…
Ein Skandal erschüttert die Hearthstone-Community 2015: Die erfolgreiche Spielerin (damals eine von zwei Frauen auf diesem Spielniveau) MagicAmy ist vielleicht gar keine Frau! Zu diesem Schluss kommt ein ehemaliger Teamkollege von ihr, denn sie tauche nie vor der Webcam oder in Offline-Events auf. Bilder zeigten zwar eine Frau, der Spieler dahinter sei jedoch bestimmt männlich! Klar, als ob eine Frau so gut spielen könnte. Die Unterstellungen machten eine riesige Welle und mündeten darin, dass sich Amy aus dem Spiel zurückzog, weil sie sich in der Community unwohl fühlte. Davon abgesehen, dass es im Grunde völlig irrelevant ist, ob sie ein Mann oder eine Frau ist, zeigt dieser Vorfall, wie ungeheuerlich vielen Menschen eine erfolgreiche weibliche Spielerin vorkommt - so ungeheuerlich, dass sie eher an Identitätsbetrug denken als daran, dass die Spielerin schlichtweg besser ist als sie.
"Blizzard sei bereit, ein "Womens only"-Turnier auszurichten, würde jedoch keine Preise ausschreiben und das Turnier auch nicht auf seinem offiziellen Kanla hosten."
2021: Zu einem großen Hearthstone-Event werden zwanzig bekannte und hochkarätige Spielerinnen und Spieler eingeladen, um das Game bzw. eine Erweiterung zu promoten. Nur zwei der zwanzig Personen sind weiblich. Natürlich ist das nicht das erste Mal, dass die Quote so miserabel ausfällt, wie Pathra, ehemalige Profi-Gamerin und erste weibliche Grandmasterin, in einer Grafik eindrücklich darstellt, doch diesmal haben die Frauen die Nase voll. Eine der Frauen, die mit ihrer Enttäuschung und ihrem Zorn an die Öffentlichkeit geht, ist Slysssa, eine ebenfalls sehr erfolgreiche Spielerin. Zuvor hatte sie schon mehrfach Blizzards Politik kritisiert und u.a. die Antwort erhalten, Blizzard sei gern bereit, ein "Womens only"-Turnier auszurichten, würde jedoch keine Preise dafür ausschreiben und das Turnier auch nicht auf seinem offiziellen Kanal hosten. Warum sie sich bei ihrem Promo-Event gegen eine 50/50 Verteilung der Plätze sträubten, liege an der Befürchtung, dass eine Niederlage der Frauen weibliche Spielerinnen im Allgemeinen "blöd dastehen" lassen würde. Slysssa wird unterstellt, sie sei nur beleidigt, dass man sie nicht eingeladen habe, es sei eben Leistung, die zähle und nicht das Geschlecht und so weiter. In einem ausführlichen Video-Statement berichtet sie, dass sie sich niemals eine professionelle Karriere zugetraut hätte, wäre da nicht Alliestrasza gewesen, das bekannteste weibliche Gesicht des Spiels.
Vor wenigen Tagen wurde der Profi-Gamer Orange für ein Jahr offiziell für Hearthstone gesperrt, weil herauskam, dass er vor einigen Jahren eine Frau sexuell belästigt hat. Die Klage auf Vergewaltigung wurde abgewiesen, weil sie etwas anderes behauptete als er ... er hat ihr aber nach eigener Aussage mindestens unter den BH gegriffen, als sie betrunken schlief. Diesen Fehler bereut er wie nichts anderes in seinem Leben, er sei selbst an einem Tiefpunkt gewesen und akzeptiert die Sperre, obwohl sie vermutlich das Ende seiner Karriere markiert. Diverse andere Profis und Fans wendeten sich aufgrund des Vorfalls von ihm ab. Sicher greift das Unternehmen unter anderem so hart durch, da Blizzard selbst noch vor einiger Zeit wegen Sexismus und Belästigung am Arbeitsplatz in den Medien war und sich klar positionieren will. Und natürlich gibt es genug Stimmen, die finden, dass Oranges Tat ja bereits bestraft wurde und er deshalb nicht seinen Job verlieren sollte. Ich finde es aber wichtig und richtig, dass die Verurteilung berufliche Konsequenzen hat, insbesondere weil er in der Öffentlichkeit steht.
Es ist so offensichtlich und doch scheint es immer wieder gesagt werden zu müssen: Weibliche Vorbilder bewirken etwas. Unmögliches scheint plötzlich möglich und trotzdem müssen Mädchen und Frauen, die in männlich geprägte Bereiche eindringen, so viel mehr Widerstand überwinden als jeder ex-beliebige Junge oder Mann. Sie müssen nicht nur gut sein, sie müssen besser sein, um teilnehmen zu dürfen, um ernst genommen zu werden. Und selbst dann sind sie noch "die anderen", die, die doch lieber ein Turnier ausrichten sollen, bei dem sie unter sich sind, ganz still und heimlich ohne viel Aufhebens.
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